Den thematischen Schwerpunkt im Geschichtsunterricht der 9. Klassen stellt die nationalsozialistische Diktatur dar. Dass Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen dieser Zeit nicht nur theoretisch erarbeitet werden können, versteht sich von selbst – zu greifbar ist das Erbe jener Jahre dank der räumlichen und zeitlichen Nähe, zu offenkundig die Notwendigkeit anschaulicher Demokratieerziehung. Eine möglichst direkte Beschäftigung mit dem Thema soll bei den Schülerinnen und Schülern somit die Erkenntnis vertiefen, dass die NS-Geschichte kein böser Traum, keine abstrakte Erzählung und schon gar kein wissenschaftliches Konstrukt ist, sondern konstant wirkmächtige, unveränderliche Realität – auch hier vor Ort. Entscheidend bleibt der Umgang mit dem Vergangenen.
Unersetzbar sind in diesem Kontext die jährlich stattfindenden Exkursionen an die KZ-Gedenkstätte Dachau. Einen weiteren praktischen historischen Impuls erhielten die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 9 im März 2024 durch eine beeindruckende Veranstaltung zu den “Euthanasie“-Verbrechen in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee. Dass so die ortsgeschichtliche Dimension der NS-Diktatur, vor allem aber der Themenbereich der sogenannten „Krankenmorde“ in den Fokus gerückt wurde, ist Dr. Petra Schweizer-Martinschek, der Leiterin des Bezirksarchivs Schwaben in Kaufbeuren, zu verdanken. Am 21. und 22. März empfing sie die 9. Klassen unserer Schule in den neu bezogenen Räumen des Archivs und gab zunächst interessante Einblicke in Wesen, Zweck sowie Funktionsweise ihres Arbeitsplatzes. Zentraler Gegenstand der Vorträge war aber die Geschichte der “Euthanasie“ in Irsee und Kaufbeuren. So erfuhren die Gäste zunächst von den unterschiedlichen Phasen des Terrors gegen vermeintlich „Erbkranke“. Basierend auf der fatalen Annahme, der Staat habe über den „Wert“ eines menschlichen Individuums zu befinden, hatten die Nationalsozialisten bereits 1933 damit begonnen, Zwangssterilisationen an Personen vorzunehmen, deren Existenz den Machthabern als „lebensunwert“ galt. Mit Kriegsbeginn 1939 setzte dann die Phase der systematischen Ermordungen ebendieser Menschen ein, was in 230.000 Fällen deren Tod bedeutete.
Beklemmung erzeugte bei den Schülerinnen und Schülern unter anderem die Konfrontation mit der in Krankenakten fassbaren Akribie der Täter. Nicht nur Planung und Durchführung der Ermordungen bedurften krimineller Gründlichkeit, auch die minutiöse Dokumentation der Verbrechen – freilich in euphemistischer Sprache – führte den Jugendlichen der Gegenwart vor Augen, wie “akkurat“, selbstverständlich und unhinterfragt staatlich organisierter Massenmord betrieben werden kann. Dass es zudem möglich ist, schwerste Verbrechen im Dienste von Nützlichkeit und Vernunft feilzubieten, hinterließ viele der jungen Zuhörer nachdenklich. Die zeitlose Aufgabe auch dieser Generation, verheerende Menschenbilder und Ideologien zu enttarnen, bevor sie Handlungsnormen werden, wurde den Schülerinnen und Schülern im Rahmen der Vorträge sehr eindrucksvoll vermittelt. Auch hierfür bedankt sich die Fachschaft Geschichte im Namen des gesamten JBG bei Frau Dr. Schweizer-Martinschek, die mit großem Engagement die “Euthanasie“-Morde in Kaufbeuren-Irsee aufarbeitet.